Wie schön kann ein Heim sein?
„Die Menschen sollen sich ein Bild davon machen, wie schön ein Heim sein kann“
Büchlberg / Landkreis Passau
Es ist eine besondere Einrichtung. Das Kinderheim St. Josef in Büchlberg im Landkreis Passau. Vor 80 Jahren wurde das Haus von den Schwestern vom Heiligen Kreuz gegründet. Der Kauf der Immobilie geht auf eine Schenkung von 100tausend Mark des damaligen Papstes Benedikt XV. an den Orden der Schwestern zurück. In der 80jährigen Geschichte des Hauses wurden über 4300 Kinder und Jugendliche dort aufgenommen. Und heute scheint die Einrichtung notwendiger denn je geworden zu sein. „Nach dem Krieg waren es vor allem Waisenkinder oder auch ausgestoßene Kinder, die hier aufgenommen wurden“, erzählt der heutige Geschäftsführer Bernhard Haimböck. Die Kinder und Jugendlichen, die heute dort leben oder ein und aus gehen, sind längst keine Waisen mehr. „Sie haben sehr wohl eine Familie“, so Haimböck. Nur diese komme aus verschiedensten Gründen der Erziehung ihrer Kinder nicht mehr nach und das scheint ein immer größeres Problem unserer Gesellschaft zu werden. Die Kinder im „St. Josef“ kommen aus allen sozialen Schichten. „Es sind Kinder von Hartz IV Empfängern und Akademikern.“ 86 Kinder und Jugendliche im Alter von 8 bis 17 Jahren werden derzeit im Haus St. Josef betreut. Vergleichbare Einrichtungen mit einer geschlossenen Wohngruppe finden sich erst wieder in Regensburg, Würzburg oder München.
Wenn ein Nein kein Nein mehr ist
„Heute wollen wir unseren Kindern und deren Eltern die Möglichkeit geben, eine schwierige Lebenssituation zu überbrücken. Und diese Aufgabe wird seit den 80 und 90ger Jahren immer wichtiger, weil die Erziehungsproblematik in den Familien immer größer werde. „Kinder und Jugendliche brauchen klare Regeln, damit sie wissen, wie sie sich verhalten müssen.“ Gerade in den 90gern kam die zunehmende Problematik der Patchwork-Familien hinzu. Der neue Lebenspartner oder -partnerin braucht viel Aufmerksamkeit, die den Kindern fehlt. „Die Kinder aus zerrütteten Familien mussten funktionieren, sie wurden materiell überschüttet, aber emotional vernachlässigt“, schildert Haimböck „Problemfälle“. Kinder wissen teilweise nicht mehr, was richtig und falsch ist, weil es innerhalb der Familie kein Lob für ein gutes Verhalten gibt und kein Nein für falsches Verhalten. „Wenn ein dreijähriges Kind ein Nein nicht akzeptiert, ist es ein Trotzkopf. Wenn ein 13jähriges Mädchen plötzlich ein Messer aus der Schublade zieht und nach der Mutter wirft, dann gibt es in dieser Familie ein Problem. „Ein Nein wird bei uns nicht irgendwann doch zum Ja, nur weil die Kinder lange genug hartnäckig bleiben“, schildert Heimböck die Arbeit. Ein Kind werde von mehreren Erziehern betreut und dann komme irgendwann die Erkenntnis, dass es nichts bringt „permanent gegen den Strom zu schwimmen.“ Nur gemeinsam haben die Schüler Freude und Spaß und können Erfolge feiern. Zu Problemen kommt es nicht nur, wenn Kinder völlig allein gelassen werden, sondern auch wenn sie „zu sehr bemuttert“ oder auch überfordert werden.
Zurück ins normale Leben
Seit kurzem verfügt das Heim über eine geschlossene Wohngruppe. „Acht Jungen im Alter von 11 bis 16 Jahren leben momentan hier, im Oktober werden acht weitere dazukommen.“ Diese Jungs haben die Härte des Lebens bereits kennen gelernt und passen so, wie sie bisher gelebt haben, nicht in unsere normale Gesellschaft. „Die Sicherheitsvorkehrungen in der geschlossenen Gruppe sind vergleichbar mit denen in einer Justizvollzugsanstalt für Jugendliche, erklärt Haimböck. Der Zutritt ist nur mit Sicherheitskarten möglich, Fenster mit Sicherheitsglas, verschlüsselte Türen und hohe Zäune machen es den Jungs fast unmöglich auszubüchsen. „Sicher würden es einige versuchen“, weiß Haimböck. Schließlich kennen die meisten keine Regeln, haben sich bisher der Schule zum Teil total verweigert, kennen kein Familienleben oder sind bereits straffällig geworden. Die meisten Jugendlichen kommen aus den niederbayerischen Landkreisen, aus Passau, Freyung-Grafenau, Regen oder auch Straubing. „Manchmal macht es Sinn, die Jugendlichen komplett aus ihrem Umfeld herauszunehmen“, erklärt Haimböck. Deswegen kommen auch regelmäßig Anfragen aus anderen Bundesländern, ob es in der geschlossenen Wohngruppe in Büchlberg noch freie Plätze gibt. „Eines darf man bei allem nicht vergessen“, mahnt Haimböck, „die Jugendlichen haben bisher kein normales Leben geführt. In deren jungen Leben haben sexueller Missbrauch, Gewalt, Schläge, emotionale Vernachlässigung oder Drogen ihre Spuren hinterlassen. „Die Anforderungen an unsere Einrichtung sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen“, schildert Haimböck die Entwicklung. Das Heim musste finanziell saniert werden, was keine leichte Aufgabe war und es musste sich den neuen Anforderungen an die Erziehungsarbeit anpassen. Von energetischen Sanierungsmaßnahmen über eine neue Turnhalle wurden knapp 5,5 Millionen Euro in das Heim gesteckt. Heute werden für die Kinder viele Therapien angeboten über Spielen oder Kunst oder auch die Erlebnis- oder Theaterpädagogik sowie Anti-Aggressionstraining oder die klassischen Einzeltherapiestunden.
„Das ist ein wichtiger Teil meines Lebens“
Ruth Eibl ist 45 Jahre alt und kennt das Kinderheim wohl wie keine andere. „Ich gehöre schon zum Inventar“ scherzt sie. Die Mutter von drei erwachsenen Kindern ist das beste Beispiel dafür, wie wichtig diese Einrichtung ist, damit Kinder und Jugendliche Lebens- und Sozialkompetenz lernen, wenn das Elternhaus versagt. Mit gerade einmal viereinhalb Jahren ist die gebürtige Münchnerin in das Heim gekommen. „Meine Mutter war mit ihrem Leben und mit neun Kindern überfordert“, erzählt sie ganz ohne Gram in der Stimme. „Es war einfach so.“ In Büchlberg habe sie sich von Anfang an wohl gefühlt und viel für das Leben gelernt. „Das Heim ist ein wichtiger Teil meines Lebens“, sagt sie und wenn sie von früher erzählt, dann kämpft sie auch mit den Tränen. Heute arbeitet sie im Heim, kümmert sich um die Reinigung und den Haushalt in der geschlossenen Wohnabteilung der Jungen. „Ich arbeite gern dort, weil ich weiß, wie es ist, wenn man keine Familie hat und weil ich den Kindern was geben kann“, erzählt sie. Verständnis und Mitgefühl, aber auch klare Regeln. Beim diesjährigen Sommerfest am Samstag, den 17. Juli wird der 80jährige Geburtstag des Kinderheims groß gefeiert. „Ich hoffe, dass viele Menschen kommen und sich selbst ein Bild davon machen, wie schön es in einem Heim sein kann“, betont Haimböck. Ab 14 Uhr findet ein Tag der offenen Tür statt. Alle Informationen findet man im Internet unter www.hsj-buechlberg.de.
Bildunterschrift: st_josef1_06juli10
Ruth Eibl denkt gerne an ihre Zeit im Kinderheim zurück. Hier hat sie sich wohl und geboren gefühlt.